Wie fettsüchtige Kinder richtig essen lernen

10.01.2014 20:49

Mecklenburg-Vorpommern hat besonders viele dicke Kinder.

Wie sollen sie auch in einer Gegend, in der nur ein Schulbus fährt,

zum Sport kommen? Ein Netzwerk vermittelt Therapien.

 

Sei heißen "Gummibärenbande", "NeLe Neue Lebenslust" oder "Appetit auf Bewegung" – Initiativen, die jungen Leuten in Mecklenburg-Vorpommern beim Abspecken helfen wollen. Zusammen mit Ärzten, Therapeuten, Verbänden, Ämtern und Krankenkassen arbeiten die Gruppen im Adipositas-Netzwerk, das 2006 ins Leben gerufen wurde und inzwischen an die hundert Mitglieder zählt.

Mit 13 bis 17 Prozent übergewichtigen bis fettleibigen – adipösen – Kindern und Jugendlichen liege der Nordosten bundesweit mit an der Spitze, sagt Netzwerk-Sprecher Ralf Schiel, Kinderarzt und Chef der Inselklinik Heringsdorf auf Usedom.

Der Europäische Adipositas-Tag am 18. Mai macht auf das zunehmende Übergewichtsproblem auch in der jungen Generation aufmerksam. "In Mecklenburg-Vorpommern spielt vor allem die soziale Komponente eine wesentliche Rolle", erklärt Professor Schiel. Viele dicke Kinder kämen hier aus einkommensschwachen Familien. In Dörfern, in denen oft nur noch der Schulbus fährt, hätten die Jugendlichen wenig Chancen, regelmäßig etwa in einem Sportverein mitzumachen oder sich in ihrer Freizeit sinnvoll zu beschäftigen, meint der Mediziner. Mangelnde Infrastruktur sei insofern ein Grund mit für Adipositas.

5,5 Prozent fettsüchtige Schulanfänger

Statistiken zufolge konnte die jahrelange Zunahme der Zahl übergewichtiger Kinder in Deutschland zwar gestoppt werden, doch der Nordosten hält laut Angaben des Robert Koch-Instituts Berlin nach wie vor einen Negativrekord. Die Schuleingangsuntersuchungen von 2009/10 in Mecklenburg-Vorpommern ergaben, dass 12,4 Prozent der Schulanfänger übergewichtig und weitere 5,5 Prozent sogar adipös waren, wie das Netzwerk mitteilt.

"Die Esskultur in vielen Familien stimmt nicht", meint Heike Haase, Ärztin im Kinderzentrum Schwerin und Leiterin des Adipositas-Projekts "Gummibärenbande". Die Gruppe von derzeit sechs Kindern von 8 bis 14 Jahren treffe sich alle zwei Wochen zum gemeinsamen Kochen, Entspannungstraining, Sport und Gesprächen. "Es geht nicht ums öffentliche Wiegen, sondern um eine neue Lebenseinstellung und -gestaltung der Kids", erklärt Haase.

Beratung nach der Kur per E-Mail und SMS

Richtig essen lernen steht auch für Steffi Dunkelmann, Kinderärztin in der Kurklinik Boltenhagen in Nordwestmecklenburg obenan. Ernährungsberatung, Einkaufstraining und Arbeiten in der Lehrküche seien neben Sport, Spiel und Strandläufen Schwerpunkte der Therapie. "Wir zählen keine Kalorien, aber die Wurstscheiben auf dem Teller und die Kaubewegungen beim Essen", sagt sie. Wichtiger als die unmittelbare Gewichtsreduktion sei die Stärkung des Selbstwertgefühls der Kids, um sie – und ihre Eltern – langfristig zur Ernährungsumstellung zu bewegen.

Auf mehr Familienberatung und Elternschulung setzt auch Netzwerk-Initiator Schiel. Stationäre Kuren könnten längst nicht alle Gewichts-Probleme lösen, betont der Klinikdirektor. Nur mit einem veränderten Lebensstil könnten Betroffene etwas gegen die "Volkskrankheit" Adipositas ausrichten. So versuche er, seine jungen Patienten über Monate nach der Kur per E-Mail und SMS zu beraten. Viele Jugendliche fänden diesen Weg der Kommunikation "cool". So würde das seit 2004 laufende Programm "TeleAdi" zur telemedizinischen Langzeitbetreuung adipöser Kinder gut angenommen, sagt Schiel.